Nachruf auf Helmuth ‚Helmi‘ Kittel (1965-2013)

Helmuth Kittel: Don Quixote der Gerechtigkeit müde, 2013

Helmuth Kittel: Don Quixote der Gerechtigkeit müde, 2013Helmuth ‚Helmi‘ Kittel sah sich selbst nicht als Künstler und seine fertigen Werke nicht als Kunst – bzw. nicht mehr als Kunst, sobald sie fertig waren. Für ihn „passierte“ und war Kunst – wie ein Gespräch – nur solange Kunst, wie sie entstand. War jene „Unterhaltung“ fertig, so war die Kunst passé, und er warf die Werke in den Papierkorb.

Erst 2010 beschloss der studierte und „total freischaffende“ Kunsttherapeut, dass es zumindest „keine vollendeten Werke geben kann“, und stellte auf der artig’10 erstmals öffentlich seine Zeichnungen aus. Neue, logischerweise.

Kurz danach wurde Helmi Mitglied im artig e.V., half mit, dachte mit und quer, schob Dienste in der Galerie, und in so manchem Gespräch stutzte er Überbewertetes auf ein gesundes Maß zurück.

Unter der Überschrift „Warum Helmuth Kittels Kunst in den Müll gehört“ begründete er damals im Magazin zur Ausstellung seinen Ansatz: „Wie auch immer die Unterhaltungen verlaufen, dieses dabei Produzierte häng ich mir nicht zu Hause an die Wand und starre es ein halbes Leben lang an. […] Selbst die Entsorgung via Mülleimer ist alles andere als ein Schlusspunkt. Jedes scheinbare Ziel ist [wie ein Gespräch] Zwischenstation und Evolution. Folgerung: In meinem Universum kann es keine vollendeten Kunstwerke geben, denn jeden verdammten Tag erwacht ein anderer Helmuth Kittel.

Nun, am 23.12.2013, ist Helmuth Kittel gegangen. Geblieben ist Don Quixote, von ihm in vielen Varianten gezeichnet und jener „Held“ aus einem der zahllosen Ritterromane, die im späten Mittelalter mit ihren immer fantastischeren Abenteuern reißenden Absatz fanden – und laut den Gebildeten jener Zeit den Verstand der Leser vernebelten. Den Auftrag, dies zu untermauern und zu parodieren, hatte „Der sinnreiche Junker Don Quixote von der Mancha“ von seinem Autor Miguel de Cervantes.

Don Quixote, ein kleiner Landadeliger aus der kastilischen Provinz Mancha, hatte fast alle Ritterromane verschlungen, und bald hält er sie für absolut wahr. Sie entrücken ihn soweit der Realität, dass er, obwohl die Zeiten jenes glorreichen Rittertums längst vorbei sind, selbst ein fahrender Ritter wird, um sich voller Ideale und todesmutig in Abenteuer zu stürzen, Unrecht zu bekämpfen und ewigen Ruhm zu erreichen.

Auf seinen Zügen durchs Land siegt vor allem seine von den Sagen aus vergangenen ehrvollen Zeiten beflügelte Phantasie über die Wirklichkeit: Aus einer simplen Schänke wird ein Kastell, Dirnen werden zu Burgfräulein, Windmühlen zu Riesen, staubumwehte Hammelherden zu Heerscharen. Doch jedesmal wird Don Quixote fürchterlich verprügelt oder kommt anders zu Schaden. Stets will ihn sein „Stallmeister“ Sancho Panza, dessen Verstand nicht von alten Heldensagen vernebelt ist, über seine Verwechslungen aufklären. Aber Don Quixote sieht darin nur eine Täuschung böser Zauberer, die z.B. die Riesen in Windmühlen verwandelt hätten.

Im zweiten Roman-Band enden seine Abenteuer zwar glimpflicher, dafür wird Don Quixote aber von den Beteiligten hinters Licht geführt, da diese von ihm und seinen tradierten edlen Tugenden bereits aus dem ersten Band gelesen haben.

Nach einer Rückkehr an seinen Heimatort, „de cuyo nombre no quiero acordarme“ („an dessen Namen ich mich nicht erinnern will“ – ein inzwischen berühmtes, im heutigen Spanisch geflügeltes Wort) befällt Don Quixote ein Fieber. Auf dem Totenbett erkennt er „Unsinn und Verworfenheit“ der Ritterbücher und beklagt, dass ihm diese Einsicht so spät gekommen sei. Was in unserem Leben Wirklichkeit und was Traum ist, mit dieser Frage, die sich Shakespeare zur gleichen Zeit mit dem (St.-Pauli-)Totenkopf in der Hand stellte – mit diesem Konflikt zwischen Ideal und Realität enden sein Leben und das Buch.

Uns bleibt mit all jenen – in den letzten Jahren nicht mehr weggeworfenen – Don Quixotes und anderen oft „grübelnden“ Zeichnungen nebst vielen Erinnerungen ein kleiner greif- und sichtbarer Reichtum, der uns hilft, Helmi und seine oft leise, unaufdringliche Sicht des Lebens nicht zu vergessen.

Ebenso wie man ihn nicht als Freund großer Worte kennt, widerstrebt einem der Gedanke, dass Helmi im Schaffen eines solchen „Nachlasses“ Sinn gesehen hätte. Aber vielleicht hat ihn da auch einfach etwas geritten wie damals jenen „sinnreichen Junker“.

„Amen“, so sei es – würde Helmi wohl jetzt sagen, dabei etwas diebisch schmunzeln und sich wieder dem Plattenspieler zuwenden, mit dem er wie mit Don Quixote mehr zu erzählen hatte als über sich selbst.

 

 

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mit Exzerpten aus und Dank an die Autoren von:
wikipedia.org/wiki/Don_Quijote

mehr von und über Helmuth Kittel
im artig’10 Magazin zur Ausstellung (ab S. 40 ff.):
www.artig.st/magazin-zur-ausstellung-artig10/
im artig’11 Magazin zur Ausstellung (ab S. 54 ff.): www.artig.st/magazin-zur-ausstellung-artig11/
im Artikel zu seiner Ausstellung „1+1=EINS“ mit Klaus Bschese Kiechle vom 13.4. bis 7.5.13: www.artig.st/kunstausstellungen/11eins-kittel-kiechle/
in seinem Online-Künstlerportrait: www.artig.st/artig-kuenstler/helmuth-kittel/

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