Kunst kommt von welchem Können?

Wenn Kunst von Dürfen käme...„Kunst kommt von Können.“ Dieser Aphorismus, ein geflügeltes Wort, zudem ekelhaft verabsolutiert, fliegt jedem Kreativen irgendwann einmal um die Ohren. Doch historisch betrachtend fällt es leicht, ihn dorthin zu treten, wohin er gehört: in die Mülltonne düsterer Geschichte.

Johann Gottfried von Herder, Schriftsteller und Philosoph der Weimarer Klassik und ein Verfechter der während der Aufklärung bedeutenden Idee von Toleranz und Menschlichkeit, ist Autor dieses von anderen so amputierten und ekelhaft verabsolutierten Halbsatzes.

In Herders Original aus dem Jahre 1800 folgten ihm  ohne Punkt und Komma ein „oder“, dann ein „vielleicht“ und ein „wenigstens“: Denn Können und Kennen hingen von einander ab, um Kunst zu gebären. Ein Können allein aber wäre reines Handwerk.

„Kunst kommt von Handwerk“ hätte also  jener Kleingeist, der Herder das Wort im Munde verdrehte, sagen müssen. Wie absurd.

Knapp 100 Jahre später trieb der Bühnenautor Ludwig Fulda diesen Satz ironisch auf die Spitze: „Kunst kommt von Können, nicht von Wollen: Sonst hieß es ‚Wulst’.“ Doch auch diesem Satz fehlt sein Kontext, denn Fulda richtete sich an die Kunst zerredende Theoretiker: „Weiß nicht, was echte Künstler sollen, mit eurem theoretschen Schwulst.“

Wie es aber oft so ist, verselbständigte sich auch diese – wie so viele Redensarten, die man nach Belieben in die Dienste seiner Ansichten stellt, um sie mit vermeintlichen Weisheiten untermauert unters Volk zu bringen.

Herder wie Fulda jedoch setzten sich zwar mit dem Wesen „Kunst“ auseinander, wollten aber nie versuchen, diese zu definieren. Beiden ist, wie direkt aus den zitierten Texten herauszulesen, ein solcher Theoretiker zuwider.

137 Jahre nach Herder wütete in Deutschland der wohl verheerendste wie fatalste, der ekel- und krankhafteste Versuch, Kunst zu definieren: „Gequälte Leinwand – seelische Verwesung – krankhafte Phantasten – geisteskranke Nichtskönner“ titelten blutrote Plakate und warben: „Besuchet die Ausstellung ‚Entartete Kunst’“, die 1937 in München startete.

Für die gleichgeschaltete Presse sei die Berliner Morgenpost vom 25. Februar 1938 zur Ausstellungseröffnung in Berlin zitiert: „Kunst kommt von Können; wenn sie von Wollen käme, müsste sie Wunst heißen.“ […] Es ist wirklich Wunst, was sich uns hier entgegenwölbt. Und so sinnlos dieses Wort klingt, genau so sinnlos glotzen uns die Kleckerein an, die mit Malerei nur dem Material nach etwas zu tun haben. Es sind Gebilde aus Leinwand und Farbe, formlos und schreiend; oft ist nur der Rahmen das einzig Gestaltete an ihnen. Voller Beschämung denkt man daran, daß diese Machwerke der Primitivität und des Unverstandes einmal „Zierden“ staatlicher Museen waren. Und noch größer wird die Bestürzung des Besuchers, wenn er entdeckt, dass die Namen dieser Kunststümper noch in seinen Erinnerungen leben […], wenn wir heute noch wissen, wer Otto Dix und Paul Klee, Kokoschka und Nolde* war. […] Die Formlosigkeit […] verkörpert die mit künstlerischen Mitteln unterstützte Volksverdummung, die Disharmonie der Farben – was bezweckt die anders, als den angeborenen Schönheitssinn des deutschen Menschen zu ertöten?“

In der von Goebbels initiierten Ausstellung mit insgesamt 650 konfiszierten Kunstwerke wurden „zersetzende“ oder „Kretins und Huren“ verherrlichende Exponate unter anderem mit Fotos verkrüppelter Menschen kombiniert, die Abscheu und Beklemmung erregen sollten, oder unvorteilhaft, eng und dunkel sowie teilweise rahmenlos gehängt und mit Schmähsprüchen an den Wänden versehen.

„Entartete Kunst“ hatte laut offiziellen Angaben über zwei Millionen Besucher und war – Ironie der Geschichte – damals eine der meist besuchten Ausstellungen Moderner Kunst, während die bewusst zeitgleich terminierte „Große Deutsche Kunstausstellung“ im Haus der Deutschen Kunst in München nur von 420.000 Menschen gesehen wurde.

Jedenfalls: Just unter jener Überschrift Herders und Fuldas wurden Kunstwerke aus Museen entfernt, konfisziert, verbrannt, Wandgemälde übermalt, planmäßig Kunstsammlungen „gesäubert“, Künstlern der Beruf und das Malen generell verboten, manche inhaftiert. Manche starben in Armut, in den Freitod getrieben oder wurden ermordet.

Die Zitate Herders und Fuldas, obwohl aus anderem Kontext stammend, mögen einem vor diesem Hintergrund bis in alle Ewigkeit im Hals stecken bleiben. Beide Autoren haben „Können“ nie als das Kriterium proklamiert – zumal, wenn man sich von diesem Vokabular nicht vereinnahmen lässt sondern gedanklich ein paar Schritte Abstand sucht, sich die Frage stellt, von welchem Können denn Kunst kommen könnte?

Aber: Absurd wird auch diese Frage spätestens dann, wenn man sich einfach einmal vorstellt, dass ein Künstler in einen Fisch verwandelt wird: Kann er nun deswegen, weil er keine Hände mehr hat, kein Maler mehr sein, oder kein Dichter weil er keine Stimme mehr hat und keine Hände zum Schreiben? Ziemlich absurd…

Der Schweizer Professor Dr. Wilhelm Kufferath von Kendenich hat sich in seinem Buch „Kunst kommt nicht von können“ 1996 die Mühe gemacht, das Wort Kunst nochmals von vorne aufzurollen und seine etymologische Entwicklung in der deutschen Sprache zu untersuchen: „Das Wort Kunst leitet sich weder von können, noch von künden her. Es hat schon existiert, als die Wörter können und künden noch nicht in Gebrauch waren. Kunst hat sich im Altdeutschen aus dem Partizip zum Verb kunnan, das erkennen, wissen, kennen bedeutet, gebildet. Kunnan wiederum ist aus der indogermanischen Wortwurzel gen- bzw. gno- entstanden, dessen Bedeutung wissen, kennen, erkennen war und das sich nicht nur bis ins Altdeutsche durchgesetzt hat, sondern auch im Altgriechischen und Lateinischen und in deren Nachfolgesprachen anzutreffen ist.“

Nur habe sich die inhaltliche Bedeutung des Wortes kunnan über die Jahrhunderte weg vom ursprünglichen Inhalt „wissen“ immer stärker zum Begriff „Befähigung durch Anwenden von Wissen“ (= können) verschoben. In den modernen romanischen und anderen germanischen Sprachen aber sei eine ähnliche Formulierung wie „Kunst kommt von Können“ nirgends anzutreffen; den Menschen dieser Sprachen liege eine solche Denkweise, wie sie hinter der deutschen Formulierung steht, völlig fern und würde als absurd empfunden – etymologisch wie inhaltlich.

Vielleicht sollte man sich daher einfach vollends davon befreien, das Wort Kunst und sein Verständnis vor die Kunst selbst zu stellen. Denn „die Kunst ist etwas persönliches, und mit Allgemeinheiten soll nie Persönliches erklärt werden“ (Friedrich Dürrenmatt in „Theaterprobleme“, 1955), und kommt sicherlich nicht davon, diese allgemein definieren zu können. Das gibt im schlimmsten Falle Tote.

* neben Dix, Klee, Kokoschka und Nolde galten ebenfalls als „entartet“ und seien stellvertretend für viele andere erwähnt: Ernst Barlach, Willi Baumeister, Max Beckmann, Max Ernst, Otto Freundlich, Wilhelm Geyer, Otto Griebel, George Grosz, Karl Hofer, Ernst Ludwig Kirchner, Käthe Kollwitz, Elfriede Lohse-Wächtler, August Macke, Franz Marc, Gerhard Marcks, Paula Modersohn-Becker, Rudolf Möller, Otto Pankok, Max Pechstein, Karl Schmidt-Rottluff, Kurt Schwitters oder auch Ausländer wie Edvard Munch, Wassily Kandinsky, Pablo Picasso oder jüdische Künstler wie Marc Chagall.

Abbildung.: “Artig” gesetzt in gotischer, d.h. in Fraktur- und vermeintlicher Nazi-Schrift, die – und das ist nicht der letzte Treppenwitz der Geschichte – Hitler 1941 jenseits historischer Grundlagen durch seinen Schergen und Stabsleiter Martin Bormann als „Schwabacher Judenlettern“ diffamieren und verbieten ließ. Seitdem herrscht auch in Deutschland die lateinische Antiqua vor. Und alle mach(t)en mit.

erschienen in: Magazin zur Ausstellung, Kempten, September 2009

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