Mit einem Augenzwinkern – so, als gehe man über eine Blumenwiese

Gastbeitrag zur Ausstellung “Der Mensch. Meine Augen. Dein Leben.” in der Galerie kunstreich

„Ich bediene mich mit Vorliebe an den schwersten aller Türen.
Aus einem dunklen Loch eine schimmernde Perle erschaffen.
Das ist meine Herausforderung.“
Andreas Schönberg

Wenn ein Künstler die sprichwörtliche Leiche, die die meisten von uns im Keller haben – wenngleich auch nur als Ablagerungen diverser Steaks – im ersten Stockwerk der Galerie Kunstreich präsentiert, in der wir derzeit noch bis 29. Juni sein Werk betrachten können, dann liegt es nahe, daraus mindestens zwei Schlüsse zu ziehen: Entweder befinden wir, die wir soeben im Erdgeschoß weilen, uns nicht wirklich im Erdgeschoß, sondern im zweiten Untergeschoß des Veranstaltungsgebäudes. Es herrscht also bereits landunter, wo wir uns doch noch auf Nullniveau wähnten, die Sintflut der globalen Informationsströme hat uns längst überschwemmt – oder wir lesen in der scherenschnittartig daliegenden schwarzen Leiche, die im ersten Stock neben einem umgefallenen Sessel am Boden liegt – man sieht die häßliche Unterseite des Sessels nebst Sprungfedern und staubigem Innenleben – das Bemühen des Künstlers, unsere verdrängten Schatten aus den Tiefen des Unterbewußtseins ins Tageslicht heraufzuheben; wobei Schatten die unangenehme Geschichte deutscher – politischer – Vergangenheit genauso bezeichnen kann, wie unseren ungefühlten Schmerz, unseren zurückgehaltenen Zorn und unsere ungeliebten Ängste.

Ich glaube, daß im Fall von Andreas Schönberg beides zutrifft. Denn die Auseinandersetzung mit den eher düsteren Aspekten der Vergangenheit seines und inzwischen auch unseren Landes – geboren 1982 in der ehemaligen DDR als ein Wendekind, wie er sich selbst bezeichnet – korrespondiert als äußere Entsprechung ja immer auch mit den psycho-emotionalen bewußten und unterbewußten Anteilen unseres eigenen Innenlebens.

Da ihm sein Fulltimejob als Betreuer geistig benachteiligter Menschen sowie seine Rollen als Beziehungsmensch und Vater einer vierjährigen Tochter sonst keinen Raum für Zurückgezogenheit lassen, arbeitet er nur nachts; sitzt nächtelang mit seinen Materialien zusammen – „Irgendwann muß der Mensch auch schlafen“ – vor allem alte Zeitungen und Bücher, die keiner mehr lesen will, und tut das, was er als waschechter Künstler, der er ist, einfach nicht lasssen kann: er gestaltet. Und er macht es gut. Sehr gut sogar. Andreas Schönberg verfügt über ein ausgeprägtes ästhetisches Vermögen und einen sicheren Sinn für Ausgewogenheit und Balance auch noch in scheinbar chaotischen Zuständen und Strukturen.

Seinen Ansatz könnte man als sozialkritisch bezeichnen, als gesellschaftskritisch, als tiefenpsychologisch gar. Seine Lieblingstechnik ist die Kollage, in die er auch immer wieder mit grellen Farben hineinmalt, was ihnen eine ganz eigene Note verleiht. Aber Kollage ist bei Schönberg nicht einfach nur ein Aneinanderfügen und Zusammensetzen. Seine Kollagen sind sehr subtil und sie bedienen sich einer ganzen Palette verschiedenartiger Organisationsprinzipien. Neben comicartigen Strukturen, die sich vor allem dazu anbieten, größere Mengen an Zeitungstext und Schlagzeilenmaterial einfließen zu lassen, findet sich häufig ein zentralisierendes Ordnungsmuster und das Bemühen, den Stoff um eine goldene Mitte herum bzw. an anderer Stelle auch um ein Hauptmotiv herum zu organisieren. Das Thema des Werkes dient dann wie ein Kondensationskern dazu, das Bild nach seinem ihm immanenten Bewegungsschwung in alle Richtungen wachsen zu lassen.

Auch pflanzenähnliche Strukturen kommen vor, Anleihen aus dem Tierreich – Rudelbildung und Schwarm – sowie ein ganz simples Baukastenprinzip. Das Besondere an diesen verschiedenen Organisationsprinzipien ist, daß jedes einzelne den Rezipienten zu einer anderen Herangehensweise bei der Betrachtung auffordert, ja sogar zu unterschiedlichen räumlichen Abständen beim Sehen, Lesen, Studieren, Erforschen und Wirkenlassen.

Apropos Note: Das musikalische Moment ist in diesen liebenswerten klein- und mittelformatigen Arbeiten sehr ausgeprägt. Wer in der Lage ist, genau hinzu“sehen“, wird einen Klang wahrnehmen können. Viele der Bilder sehen aus wie kleine Musikstücke, Ausschnitte von Sinfonien oder Ballettszenen; sie singen und tanzen, sie haben eine innere Kreisbewegung, ein weiterwirkendes Drehmoment; so, als ob sie noch keinen Stillstand gefunden hätten, oder als ob sie an so etwas wie einem festen Stand und einer eindeutigen Haltung gar nicht interessiert wären. Eine vogelschwarmartige Vibration geht von vielen Bildern aus, etwas wie ein erschrocken Auffliegendes kehrt öfter wieder, ein händeringendes Entsetzen an dem, was da wieder – in den Zeitungen vor allem, also in der Welt – an Unfug, Dummheit, Absurditäten, Gewalt, Irrwitz und Ignoranz gefunden wurde – und folglich irgendwie verarbeitet werden muß.

Dieser Eindruck ist vor allem auf den besonderen Einsatz des Wortes zurückzuführen, das in Andreas Schönbergs Werk – neben den Zeitungsauschnitten und Schlagzeilen – als gemaltes und geschriebenes Wort sowohl als Bildgegenstand, wie auch als Gestaltungsmittel eingesetzt wird. Andreas Schönberg spielt und jongliert mit den Worten, deren Buchstabenfolgen ihm oft auseinanderfallen. Er verdreht die Worte, läßt sie lange Beine bekommen, Flügel oder Fühler ausfahren, er läßt sie anklagen, schreien, behaupten, rekapitulieren, resignieren. Er stellt sie auf den Kopf, wirft sie durcheinander, läßt sie Purzelbäume schlagen oder am Trapez durch die Manege sausen. Er behandelt die Worte und Wörter, als ob sie Wesen wären. Und er macht das auf eine dermaßen originelle, eigenständige und durchgängig schräge Art und Weise, daß ich nicht davor zurückscheue, gut zwei Dutzend dieser seiner Werke als schlichtweg genial zu bezeichnen.

Denn all diese Spielerei ist niemals nur bitterernst, niemals nur zurechtweisend, belehrend oder grob aufklärerisch gemeint. Sie kommt immer mit einem Augenzwinkern daher, oftmals ironisch, gerne satirisch, nur ganz selten zynisch, meistens einfach nur baff vor Erstaunen, daß so etwas überhaupt möglich ist für fühlende und denkende Wesen. Für Menschen also.

Fast kommt es einem so vor, als wolle der junge Künstler das, was die Moderne, die Postmoderne, die Postpostmoderne und die Metamoderne seit vielen Jahren so erfolgreich betrieben haben – eigentlich eher „angerichtet“ haben: die Vertreibung des Menschen aus der Kunst – fast kommt es einem so vor, als wolle er all dies in Nullkommanix wieder rückgängig machen. Denn die menschliche Figur ist das Hauptmotiv seines Schaffens. Nur ganz wenige Werke kommen ohne die menschliche Figur aus; ob er sie mit dünnen Bleistiftstrichen inmitten der Collagen auftauchen läßt oder in ganzen Scharen, mal verstümmelt, mal zurechtgestutzt, geköpft oder sonstwie bearbeitet, aus Fotografien übernimmt – der Mensch ist der Dreh- und Angelpunkt seiner Arbeit, und das fühlt sich gut an. Geradlinig. Aufrichtig. Lebendig.

Und so ist es denn kein Zufall und – wie leider bei so vielen Zeitgenossen – kein nachträglich entworfenes und unnatürlich übergestülptes Konzept, wenn seine Ausstellung von 54 Werken aus den letzten zwei Jahren mit dem Titel „Der Mensch. Dein Leben. Meine Augen.“ daherkommt.

Was Mensch mit Mensch macht, das hat sich für ein bewußtes Wesen schon längst in einen kafkaesken Alptraum verwandelt. Und dieser Horror, diese unentrinnbare Dunkelheit dessen, in was der Mensch seine Welt und unsere Gesellschaft mehr und mehr verwandelt hat, der entkommt Schönberg nur durch Einsatz seines ganzen Herzens und seines gesamten artistischen Genies. Hören wir nur, was uns die Bildertitel – hier mit Einverständnis des Künstlers ohne Punkt Punkt Komma Strich aneinandergereiht – über den Menschen und sein Leben erzählen, so er denn noch Augen hat zu sehen und Ohren, zu hören und ein Herz, um zu fühlen:
„Augenschokolade die Träume meiner Kinder der Strom der Freundschaft Selbstportrait Cowboy oh Gott meine Augen LSD der Perfekte der Träumer du bist kein Model die Kirche ist geschlossen die Zeitung ist am Ende der Trottel Konsum sinnlos Sexspielzeug er braucht noch Feminismus für seine Frau Hommage Kafka sinnlos Heimat Kapitalismus War-Player der erste Schuß eine Frau wirkt sich auf macht sich lecker ihr Geschäft Zeitarbeiter Blow-Pop Luft-Ballon-Fahrer bewegend Schwarz Treffpunkt Schreibtisch der rote Faden Jugend in Brandenburg sie ist sonderbar in der Welt Mechanismus der letzte Samenstrang Siedlungspolitik Papa hat Jetlag Faschismus-Krebszelle Spielplatz Erde nicht jeder Gast ist ein Schwein im Hotel .“

Der Ablauf der Vernissage war dann auch noch mal ein Erlebnis der besonderen Art. Denn Andreas Schönberg ist nicht allein im Allgäu, also im Süden Deutschlands, angereist. Er hatte noch eine Entourage dabei, nicht weniger als 10 Begleiter. Und die durften fast alle mehr oder weniger mitmischen. Auf eine Idee von Moko (Matthias Konzern) geht die Videoinstallation zurück. Er bewegte Andreas Schönberg im Vorfeld der Vernissage dazu, sich in einem Keller eine halbe Stunde lang dem unerbittlichen Auge einer Kamera zu stellen, und, ganz ohne zu sprechen oder sonstwie auszuweichen, einfach nur möglichst offen in die Glaslinse zu schauen. Eine Szene, die Schönberg später als ‚Verhörsituation’ beschrieben hat und mit den Worten kommentierte: „Ich bin die Blöße.“

Dieses Videomaterial wurde von Moko aufbereitet und sowohl auf einer großen Leinwand im Erdgeschoß verwendet, als auch neben dem Schwarzen Mann im ersten Stock; dort auf vier Monitore  verteilt, die nach einem raffinierten Prinzip kleine Gesichtsausschnitte miteinander kollagieren und auseinanderdriften lassen, ohne die Augen aus dem Auge zu lassen.

Ivo Kowalsky machte auf dem Vernissageabend einige Zeit lang als „Dr.Dr.“ in Bademantel, Badeschlappen und Schwimmütze die Gegend unsicher; gab wohlmeinende, durchweg mit beruhigendem Kopfnicken erteilte Ratschläge aus dem unerschöpflichen Erfahrungsschatz des „Betreibers eines Call-Centers mit Saunaanschluß“, der sich selbst als Eremit bezeichnet. Seine beruhigende und überzeugende Art und Weise gab so manchem die Gewißheit, rundum gesund zu sein, und unbedingt hundert Jahre alt werden zu können.

Untermalt, angefeuert, beschwingt und manchmal auch übertönt wurde der Abend von einem mitgereisten DJ-Team, zu dem mir Andreas Schönberg in einer Email schrieb: „Du spazierst so herrlich in meiner Gedankenwelt umher, klasse! Deine Frage zur Musik, Sie ist wie ein klinkendes Bäumle. Ja wirklich, ein großer Bestandteil in meiner Produktion! Ich sehe in den Bildern eine starke Rotation, mal knallhart, mal weich in glasklaren Flächen, wie in der Moldau zu beobachten. Die Jungs und Ihre Musik; Name: AMOKE, Sound: Dub/Jazz. Sie könnten mit der Platte spielen, wie Kafka mit der Sprache oder Kandinsky mit Form und Farbe. Weißt du A., eine Vernissage ist doch meistens kalt und sehr erdrückend, Sie konnten Ihr eine Note versetzen, interpretiert wie als gehe man über eine Blumenwiese.“

von A.S. CRANE im Juni 2014

mehr zur Ausstellung samt Fotos von der Vernissage →

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