artig Kunstpreis 2020 · Ausstellung 19.6. – 19.7.20
Um acht Wochen musste der artig Kunstpreis 2020 corona-bedingt verschoben werden – nun aber ist es endlich soweit: Die Ausstellung ist geöffnet, die Preise sind vergeben. Beides sind dreidimensionale Werke, beides Künstlerinnen, und beide leben und arbeiten in Mittelfranken. Der artig Kunstpreis 2020 ging an das Werk Traumflieger von Bettina Graber-Reckziegel (im Bild rechts) aus Vorra und der artig Sonderpreis 2020 an Was wir nicht sehen von Nadine Elda Rosani (Bildmitte) aus Heideck.
Aus der sonst vertrauten Organisation von Vernissage und Preisverleihung wurde ein wilder Ritt: Nicht einmal zwei Wochen zuvor hatte die Bayerische Staatsregierungen wieder Veranstaltungen mit bis zu 100 Personen gestattet – mit 1,5 Mindestabstand und im Freien. Für den artig-Vorstand hieß dies: Rain or Shine, wir gehen am Fr. 19. Juni auf den St.-Mang-Platz nur wenige Meter von der Galerie entfernt, dann Genehmigungen einholen, Rechtsverordnungen durchackern, Hygiene- und Sicherheitskonzepte schreiben, den Platz absperren und die Namen der Teilnehmer am Einlass erfassen. Zudem wurde die Ausstellung in der Galerie Kunstreich bereits um 15 Uhr geöffnet, um den Besucheransturm zu entzerren.
„Wir hätten gerne alle unsere Besucher, Freunde und die Öffentlichkeit eingeladen”, so Vorsitzender Stephan A. Schmidt (im Bild links), „aber aufgrund der Limitierung auf 100 Personen mussten wir uns auf die Künstler, deren Begleiter sowie unsere Helfer und Mitglieder beschränken.” So kamen auf dem Platz abends um 20 Uhr dann auch knapp 100 Leute zur Ausstellungseröffnung zusammen und konnten (mit Mindestabstand) die beiden Preisträgerinnen feiern.
Die Laudationen für die preisgekürten Werke finden sich am Ende dieser Seite »
Jedenfalls: Wir sind stolz und dankbar, endlich wieder Kunst – und dann noch einer so vielschichtigen wie hochwertigen Ausstellung – in Kempten zeigen zu können. Derzeit ist dies nicht nur unsere 70. sondern auch die einzige Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Kempten. Ganz herzlichen Dank nochmals an alle Künstler für ihre Beteiligung und für das teilweise aufwändige Anliefern ihrer Werke!
Update: Publikumspreis geht an Daniela Riss für ‘Blue’
Nach 31 Tagen ging auch die Ausstellung zum artig Kunstpreis 2020 mit der Auszählung und Vergabe des Publikumspreises zu Ende: Aus über 300 abgegebenen Wahlzettel konnte das Gemälde „blue“ (im Foto rechts) von Daniela Riss die meisten Stimmen für sich gewinnen. Für die Malerin aus Waltenhofen war es eine große Überraschung, denn es ist nicht nur ihr erster Kunstpreis, sondern auch das erste Mal überhaupt, dass sie mit einem Werk an einer Ausschreibung teilgenommen hat. Das Preisgeld in Höhe von 1.000 € wurde von der Brauerei Härle aus Leutkirch gestiftet.
Insgesamt wurden beim vierten und alle zwei Jahre international ausgeschriebenen Kunstpreis des artig e.V. 73 Werke von 67 Künstlerinnen und Künstlern aus vier Ländern gezeigt; insgesamt wurden drei Preise im Gesamtwert von 6.000 Euro vergeben. Die Galerie Kunstreich geht nun bis 21. August in die übliche Sommerpause.
(weitere Fotos von der Vernissage folgen)
Rund 700 eingereichte Werke von 380 Künstlerinnen und Künstlern aus halb Europa
Wieder einmal großartig – diesen Kunstpreis ist weiterhin einer der beliebtesten in Schwaben und darüber hinaus, auch wenn die Einreichungszahlen erstmals seit 2014 in Anbetracht der aufkeimenden Corona-Pandemie zurückgingen und sich meist auf den deutschsprachigen Raum konzentrierten.
73 Werke von 67 Künstlern haben es nach Kempten geschafft und wurden von unserer Jury für drei Preise – den artig Kunstpreis, den Sonderpreis und den Publikumspreis – nominiert: Wir freuen uns auf eine aufregende wie facettenreiche Ausstellung, die ein Schlaglicht auf das aktuelle Kunstschaffen von Malern, Skulpteuren sowie Fotografen in Mitteleuropa wirft.
All diese Kunst gibt es auch zum Mitnehmen: Zur Vernissage erscheint wieder ein großformatiger Katalog mit allen Werken. Und es gibt einen dritten Kunstpreis, dotoert mit 1.000 €, zum Mitmachen: Bitte stimme bei Deinem Besuch ab und wähle Deinen artig Publikumspreis – Deine Stimme zählt!
Die nominierten und teilnehmenden Künstler: Moritz Albert, Solingen · Natalia Alf, Weilheim · Thorsten Bechtluft, Reitzenhain · Oksana Bergen, Paderborn · Michael Berner,
Kempten · Christoph Berstecher, Freiburg · Ingrid Bickel, Oberstdorf · Pettra Biertümpfel, Wibbecke · Erna Blaschko-Walbrun, Cham · Thorsten Boehm, Hamburg · Katrin Brand, Vorra · Kombinat Äppärät, Cyberspace · Andrea Cordes-Thalmeier, Dorfen · Paolo Dalponte, Comano Terme / I · Gudrun Daum, Kaufering · Karin Drechsler-Ruhmann, Erlangen · Elena Drobychevskaja, München · Nils Franke, Leipzig · Rita Galambos, Feldkirch / A · Martin Gautsch, Thomatal / A · Alexandra Gebhart, Bad Waldsee · Giorgio, Immenstadt · Bettina Graber-Reckziegel, Vorra · Sandra Gutsche, Gardelegen · Fabian Helmich, Riedenburg · Isabell Heusinger, Neumarkt i.d.Opf. · Johannes Hofbauer, Feldafing · Elisabeth Hölz, Amtzell · Alexander Jakimenko, Köln · Daniela Kammerer, Augsburg · Saori Kaneko, Weimar · Emil Kräß, Neu-Ulm · Nikolai Lagoida, Ochsenfurt · Helene Lindqvist, Augsburg · Diana Lukas, Überlingen · Ernst Miesgang, Wien / A · Sandra Müller, Bad Waldsee · Alžběta Müller, München · NEO, Nürnberg · Jürgen Niederauer, Marktoberdorf · Magdalena Nothaft, Rosenheim · Irmi Obermeyer, Wildpoldsried · Severine Peiffer, Leudelange / L · Jan-Hendrik Pelz, Stuttgart · Mila Plaickner, Götzis / A · Christoph Rehlinghaus, Meerbusch · Daniela Riss, Waltenhofen · Christian Ristau, Flensburg · Nadine Elda Rosani, Heideck · Klaus Rungger, Lajen / I · Stefanie Ruprechter, Kirchberg in Tirol / A · Raimund Schemmel, Arnstein · Hannah Schmider, Offenbach · Karl E. Schneck, Oberreute · Ilka Schneider, Berlin · Jutta Siebert, Lychen · Ursula Sihler-Steidl, Laupheim · Claudia Simon, Magdeburg · Gabriele Sodeur, Sonthofen · Franz Spring, Roßbach · Marc Völker, Ohlstadt · Krešimir Crash Vorich, Kempten · Merle Wittchow, Fleckeby · Wladimir Zalyasko, Nürnberg · Eva Zimnoch, Dortmund · Julia Ursula Zuchtriegel, Ottobeuren · Peter Zunder, Mötz / A.
Termine & Öffnungszeiten:
- Vernissage: Fr. 19. Juni 2020 um 20 Uhr
- Finissage mit Auszählung und Bekanntgabe des Publikmspreises: So. 19. Juli 2020 um 17 Uhr
- Öffnungszeiten bis einschließlich So. 19. Juli 2020: Dienstag von 16 bis 20 Uhr, Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr
- Der Eintritt ist so frei wie die Kunst.
- Masken- und Abstandspflicht: Zugang wie überall üblich nur mit Mundnasenmaske (oder Schal) und bei Einhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstands von 1,5 Metern.
- Zur Ausstellung ist ein großformatiger Katalog mit allen Werken, den Preisträgerinnen und Laudationes erschienen. Dieser ist (auch nach der Ausstellung) in der Galerie Kunstreich gegen eine Spende erhältlich oder kann online hier bei Yumpu durchgeblättert werden.
Die Laudationen
Ein zerbrechlicher Traum in Weiß
Den Wunsch nach Frieden künstlerisch umzusetzen, ist ein schwieriges Unterfangen: Schnell kann es abgedroschen wirken oder kitschig bis naiv.
Schwerter zu Pflugscharen? Längst nicht mehr zeitgemäß und zeitgenössisch: Schwerter finden sich nur noch im Museum, und Pflugscharen kennt kaum noch ein Kind.
Kampfflugzeuge oder Bomben zu weißen Friedenstauben? Hat man die Arbeit von Bettina Graber-Reckziegel noch nicht gesehen, mag das nach simpler, plakativer Metaphorik klingen. Doch die Künstlerin meistert dieses scheinbare Unterfangen so filigran wie spielerisch: Zauberhaft, fast kindlich, aber niemals kindisch oder naiv, verpackt und verwandelt sie den hehren Traum vom Frieden in einen echten, greifbar-gegenständlichen Traum – über einem für jeden Menschen intimen Bett. Der Traum wird im privaten Gemach, umrissen von einem Glaskasten, zu Form und Raum und damit zu einer Art naher, greifbarer und individueller Realität. Soll heißen: Der Betrachter kann sich damit identifizieren; es könnte mein Bett sein, ich muss diesen Traum selbst träumen.
Die Flugzeuge sind keineswegs vage angedeutet, sondern verweisen ganz konkret in die jüngste Kriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland: Es sind „Tornados“. So heißen die Kampfflugzeuge der Luftwaffe und wurden 1999, erstmals nach Ende des Zweiten Weltkrieges, in einem bewaffneten Kriegseinsatz über Serbien sowie später über Afghanistan und Syrien zur Aufklärung eingesetzt.
Diese Klarheit beunruhigt, andererseits wird alles vom Bett über den Bomber bis zum Vogel nicht nur in das typische Weiß des Porzellans, sondern zugleich in das Weiß der Unschuld getaucht, die wiederum durch das Material und seine Miniatur so zerbrechlich wie schützenswert erscheint.
Um offen zu sein: Die artig-Jury ist auch in Ihrer Summe weder Freund komplexer, philosophischer bis politischer Werke, die zudem einer mehrseitigen Erklärung bedürfen oder sich ihr gar verweigern, noch ist sie Freund eines perfekt gemachten, schnellen „Bumms“, das einem flugs ein Lächeln z.B. ob seiner Schönheit oder Verspieltheit ins Gesicht zaubert.
Diese Arbeit liegt jenseits und gleichzeitig in alledem: Sie hat gleichzeitig Tiefe und vermag dennoch auf den vielleicht nicht ersten, aber zweiten Blick zu verzaubern. Es ist bald verstanden, hat aber wie bei manchem Wein einen mulmigen Abgang. Man wünscht sich, Kind zu sein, aber weiß um die Kriege, man will schmunzeln, aber nicht solche Träume träumen müssen – als ob wir zu realistisch und zu erwachsen wären für einen Frieden. Oder zumindest für einen Traum vom Frieden.
Aber wir Menschen sind zu dumm. Denn solches sollte schon längst zu Ende geträumt sein. Und das beunruhigt.
Der artig Kunstpreis 2020 (dotiert mit 2.500 €) geht an: TRAUMFLIEGER VON BETTINA GRABER-RECKZIEGEL
Stephan A. Schmidt für die Jury
Bettina Graber-Reckziegel besuchte die Berufsfachschule für Keramik und danach die Fachschule für Keramik in Landshut, die sie als Keramikmeisterin und Keramikgestalterin abschloss. Es folgte eine Studium an der Akademie der Bildenden Künste München bei Prof. Norbert Prangenberg sowie ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, wo sie zur Meisterschülerin bei Prof. Eva von Platen ernannt wurde. Sie lebt und arbeitet in Vorra im Nürnberger Land.
Würde ist kein Sonnenschein
Innerlich zerrissen mag sie sein, diese Frau, aber nicht ge- oder zerbrochen. Ähnlich wie der Baumstamm, aus dem sie entstand, und dessen senkrechter Riss durch den Oberkörper weiter wächst, weil das Holz weiterhin arbeitet.
Mager, eher dürr und ausgezehrt steht sie da, aber doch in Würde, verkrampft vielleicht, aber die Schultern hängen nicht herunter, die Hände sind eher kräftig, sie bewegt sich weiter und der Blick ist nach vorne gerichtet, wenn auch skeptisch, eher klagend bis kritisch als traurig.
Dass ihr ein Fuß fehlt, mag eher der Antike (und dem Baumstamm) geschuldet sein, als dass es mehr Erzählung bzw. zur Physis oder Psyche der Dargestellten beiträgt.
„Was wir nicht sehen“, dieser Titel lässt letztlich offen, ob wir etwas nun oder weiterhin nicht sehen und (nur vielleicht) erst nach langer Betrachtung finden können.
Womit wir das schwierige Wasser einer Interpretation erreichen, die sich niemals anmaßen darf, für alle zu sprechen, etwas vorweg zu nehmen, gar festzulegen oder dem Betrachter zu bevormunden, zu entmündigen. Denn in der Autonomie der Kunst liegt auch immer die Autonomie des Betrachters: Jeder hat seine eigenen, individuellen Erfahrungsschätze im Bauch und seine Bilder im Kopf. Jeder mag – jeweils aus seiner Perspektive – die Persönlichkeit der Abgebildeten für schwach halten, oder für stark. Wobei ein Herabschauen auf einen schwächeren Menschen nicht funktioniert: Zu hoch steht die 1,70 Meter große Frau auf einem Sockel, man muss zu ihr aufblicken.
Der Tenor ist nicht freudig, nicht positiv; hier steht und geht kein Sonnenschein. Dennoch kommt auch derjenige, der je nach ästhetischer Auffassung eher „das Schöne und Gute“ in der Kunst sucht, nicht an dieser Skulptur vorbei. Denn sie hat Essentielles zu erzählen, und das innere Auge will zuhören. So wie wir uns im Leben mit unserem Gegenüber auseinandersetzen müssen (sofern wir noch ein Quäntchen Empathie besitzen), das wohl eher nicht makellos aus dem Titelcover eines Modemagazins entstiegen ist.
Wer weitere Arbeiten von Nadine Elda Rosani kennt, sieht auch hier ihren durchgängigen Stil: Alles keine idealtypischen, jugendlichen Schönheiten, sondern vom Leben gezeichnete Menschen mit einer eigenen, meist essentiellen Ästhetik, bei der nur das Wesentliche, also kein Hieb zu viel und kein Stich zu wenig erzählt.
Rosani sagt über ihre Arbeitsweise: „Ich mag klare Formen und das Material sehen. Bei den Skulpturen schätze ich kraftvolle und satte Schnitte.“ Mehr sagt die gelernte Holzbildhauerin und Schreinerin aus dem mittelfränkischen Heideck nicht, und das eher technisch. Das Inhaltliche, das Interpretative und Erzählerische bleibt also weiterhin uns überlassen.
Der artig Sonderpreis 2020 (dotiert mit 1.500 €) geht an WAS WIR NICHT SEHEN VON NADINE ELDA ROSANI
Stephan A. Schmidt für die Jury
Mehr zu Nadine Elda Rosani auf ihrer Website: www.nadinerosani.com
© Fotos: Levi Böser (St.-Mang-Platz), Florian Lauerwald (Werke), Susanne Praetorius (Finissage)
Hallo Jury und Organisation des Art ig Kunstpreises,
ich finde es schon bemerkenswert, dass obwohl die Gebühr für die Ausschreibung 2020 bezahlt wurde – nicht mal eine Absage gekommen ist!
Lässt auch kein helles Licht auf fairen Umgang mit den Teilnehmer-Innen fallen… vielleicht nur ein gutes Geschäftsmodell?
es grüßt alle
Ursula aus Wien
Liebe Frau Winter,
1. Wir haben sowohl an alle einjurierten Künstler*innen als auch an alle ausgeschiedenen eine Absage per E-Mail verschickt.
2. Trotz aller Widrigkeiten durch die Corona-Pandemie haben wir unser bestes gegeben, um den Kunstpreis und die dazugehörige Ausstellung möglich zu machen – das zum “Geschäftsmodell”, an dem keiner von uns auch nur einen Cent verdient, sondern viel ehrenamtlich Arbeit leistet.
3. Dass Sie das nun erst knapp ein Jahr nach Ende des Kunstpreises kritisieren, finde ich ebenso “bemerkenswert”.
Beste Grüße – Stephan A. Schmidt, Vorsitzender
Hallo,
da ich leider nicht vor Ort sein kann, würde ich gerne online abstimmen – dazu hätte ich gerne online alle Werke der Künstler um dann abstimmen zu können? Ist das möglich? Wäre super. Danke!
Viele Grüße
Doris Reichl